Vergleichsstudie zur Gesundheitskompetenz in Deutschland
Die repräsentative Studie zur Gesundheitskompetenz in Deutschland, HLS-GER 2 (Health Literacy Survey Germany 2), durchgeführt vom Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK) der Universität Bielefeld, kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Gesundheitskompetenz in Deutschland im Vergleich zu 2014 (HLS-GER) verschlechtert hat.
Für die repräsentative Untersuchung wurden 2.151 Personen über 18 Jahren anhand eines Fragenkataloges zu ihrer Gesundheitskompetenz befragt. Um auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie mit einzubeziehen, folgte im Herbst 2020 eine Zusatzerhebung mit 532 Personen.
In der Zusammenfassung heißt es:
"Die wichtigsten Ergebnisse:
1. Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland hat sich in den letzten sieben Jahren verschlechtert. Mit 58,8 Prozent weist deutlich mehr als Hälfte der Bevölkerung eine geringe Gesundheitskompetenz auf. Während der Corona Pandemie ist der Anteil geringer Gesundheitskompetenz leicht zurückgegangen. Doch nach wie vor ist geringe Gesundheitskompetenz kein Problem einer Minderheit, sondern der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland. Die Stärkung der Gesundheitskompetenz bleibt somit eine wichtige Public-Health-Aufgabe.
2. Gesundheitskompetenz ist sozial ungleich verteilt: Besonders Menschen mit niedrigem Bildungsgrad, niedrigem Sozialstatus, mit Migrationserfahrung, im höheren Lebensalter und mit chronischer Erkrankung oder langandauernden Gesundheitsproblemen weisen eine durchschnittlich geringere Gesundheitskompetenz auf. Die Studie unterstreicht damit die Bedeutung vulnerabler Gruppen. Sie macht zugleich Verschiebungen sichtbar: Anders als in zurückliegenden Untersuchungen haben auch vermehrt jüngere Menschen zwischen 18 und 29 Jahren Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformation. Ebenso zeigt sie, dass Menschen mit mehreren chronischen Erkrankungen eine geringe Gesundheitskompetenz aufweisen als Personen mit nur einer langandauernden Krankheit. Auch Personen mit eigener Migrationserfahrung verfügen über einen deutlich höheren Anteil an geringer Gesundheitskompetenz als Menschen mit nur elterlicher Migrationserfahrung.
3. Von den vier Schritten bei der Informationsverarbeitung (Finden, Verstehen, Beurteilen, Anwenden) fällt der Bevölkerung die Beurteilung von Informationen am schwersten: Fast Dreiviertel der Bevölkerung sieht sich bei der Einschätzung von Gesundheitsinformationen vor Probleme gestellt. Das deutet an, dass die seit geraumer Zeit zu beobachtende Expansion von Information und auch von Fehl- und Falschinformation für die Bevölkerung erhebliche Probleme aufwirft und folglich die Qualität gesundheitsrelevanter Information verbesserungsbedürftig ist. Darauf weist ein weiteres Ergebnis: Auch die Anwendung von Gesundheitsinformation ist für die Bevölkerung häufig schwierig. Hier ist der Anteil geringer Gesundheitskompetenz ebenfalls gestiegen.
4. In allen drei untersuchten Bereichen – Krankheitsbewältigung/Versorgung, Prävention und Gesundheitsförderung – fällt den Befragten der Umgang mit Informationen schwer. Besonders gilt das für den Bereich Gesundheitsförderung. So wird etwa das Finden von Informationen zur Gesundheitsförderung in den alltäglichen Lebenswelten (Arbeitsplatz, Schule, Wohnumgebung) oder zu psychischen Gesundheitsproblemen als sehr schwierig eingeschätzt.
Doch auch im Bereich Prävention bestehen Herausforderungen, wie sich etwa beim Thema Impfen zeigt. Ähnlich ist es bei der Krankheitsbewältigung/Versorgung. Beispielsweise werden Beipackzettel noch weitaus häufiger als zuvor für schwer verständlich gehalten. Auch zu beurteilen, ob eine Zweitmeinung eingeholt werden sollte, findet ein Großteil der Bevölkerung schwierig. Die Einzelergebnisse deuten exemplarisch an, wie vielfältig die Herausforderungen in den drei erfragten Bereichen sind.
5. Geringe Gesundheitskompetenz hat zahlreiche negative Folgen und ist mit ungesundem Verhalten wie geringerer Bewegung, schlechterer Ernährung, häufigerem Übergewicht, schlechterer subjektiver Gesundheit, mehr Fehltagen am Arbeitsplatz und intensiverer Nutzung des Gesundheitssystems (mehr Arztbesuchen, Krankenhausaufenthalten, häufigerer Nutzung von Notfalldiensten) verbunden. Diese Zusammenhänge zeigen sich in der während der Corona Pandemie durchgeführten Zusatzerhebung stärker und belegen, dass geringe Gesundheitskompetenz eine wichtige Gesundheitsdeterminante und ein ökonomischer Faktor ist.
6. Die digitale Gesundheitskompetenz der Befragten ist sehr schwach ausgeprägt. Drei Viertel der Be-fragten weist eine geringe digitale Gesundheitskompetenz auf und hat große Schwierigkeiten, mit digi-taler Information umzugehen. Besonders die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit und Neutralität digi-taler Informationen wird als schwierig erachtet.
7. Das gilt auch für die navigationale Gesundheitskompetenz: Nahezu vier Fünftel der Bevölkerung haben eine geringe navigationale Gesundheitskompetenz und sehen sich vor Schwierigkeiten im Umgang mit Informationen zur Navigation und Orientierung gestellt – besonders, wenn es um die Funktionsweise des Gesundheitssystems, das Verstehen von Gesundheitsreformen, Patientenrechte und Qualitätsfragen geht. Das trifft besonders für Menschen mit niedrigem Bildungsgrad, niedrigem Sozialstatus, ältere Menschen, doch bemerkenswerterweise auch für jüngere Menschen zu. Im Verlauf der Corona Pandemie hat sich das kaum verändert. Die Ergebnisse unterstreichen somit, dass die Navigation im Gesund-heitssystem und seinen Organisationen und auch die dazu nötige Information der Verbesserung bedürfen.
8. Die Interaktion und Kommunikation mit Ärztinnen und Ärzten fällt den Befragten leichter: Der Anteil geringer kommunikativer Gesundheitskompetenz ist relativ niedrig. Doch bestehen auch hier Herausforderungen: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung findet es beispielsweise schwer, die von Ärztinnen und Ärzten verwendeten Begriffe zu verstehen oder ausreichend Gesprächszeit zu bekommen. Damit sind zwei seit langem als veränderungsbedürftig kritisierte Themen angesprochen, die nicht an Aktualität verloren haben.
9. Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse der HLS-GER 2 und auch der Zusatzstudie HLS-GER 2‘ den politischen Handlungsbedarf und zeigen, wie wichtig es ist, die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung weiter voran zu bringen und die dazu nötige Interventionsentwicklung, Forschung und auch Netzwerkbildung zu intensivieren. Nur durch ein Kooperationsbündnis aller relevanten Akteurinnen und Akteure und ihrer Netzwerke aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft ist es möglich, die Gesundheitskompetenz in Deutschland nachhaltig zu fördern."
Die vollständige Studie steht als Download auf der Seite "Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz" zur Verfügung