MIH – Eine neue Volkskrankheit

Karies bei Kindern ist stark zurückgegangen – doch immer mehr Kinder leiden unter schmerzhaften Zähnen

Mit diesen Thesen hatte die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) am 24. Mai 2018 zur Pressekonferenz in das Haus der Bundespressekonferenz nach Berlin geladen.

Nach einführenden Worten des Präsidenten der DGZMK, Prof. Dr. Michael Walter (Dresden), moderierte der Pressesprecher der DGZMK Markus Brakel den weiteren Verlauf.

Die DGZMK hat mit der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) ein Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gestellt, das noch wenig erforscht ist, aber immer mehr kleine Patientinnen und Patienten betrifft. In bestimmten Altersgruppen bei Kindern und Jugendlichen liegt das Auftreten heute deutlich höher als das der Karies.

Prof. Dr. Norbert Krämer (Gießen) und Prof. Dr. Stefan Zimmer (Witten-Herdecke) informierten aus Sicht der Wissenschaft, was derzeit über die Prävalenz, Ursachen und Kariesprophylaxe bei MIH bekannt ist.

Bei der MIH handelt es sich um eine systemisch bedingte Strukturanomalie primär des Zahnschmelzes, die in dieser Form 1987 erstmals von G. Koch beschrieben wurde. Sie kann einen bis alle vier ersten bleibenden Molaren betreffen aber auch an bleibenden Frontzähnen und zunehmend an zweiten Milchmolaren auftreten. In Abhängigkeit vom Studiendesign und den Bewertungskriterien werden Häufigkeiten zwischen 3,6 % und 37 % beschrieben, unabhängig von sozialen Gradienten und überall auf der Welt, führte Prof. Krämer aus.

tl_files/bzoeg/redaktion/bilder/aktuelles/2018/Abbildung 1 milde Form MIH Quelle DGZMK.png

Bei milden Formen werden weiß-gelbliche oder gelb-bräunliche Opazitäten beobachtet, die an Frontzähnen ein großes ästhetisches Problem sein können. Die schweren Formen sind durch abgesplitterte oder fehlende Schmelzareale unterschiedlichen Ausmaßes gekennzeichnet. Diese Zähne können sehr empfindlich auf mechanische, thermische und chemische Reize sein. Die betroffenen Kinder klagen über Schmerzen beim Essen, Trinken und Zähneputzen. Dadurch wird nicht nur die Lebensqualität der Kinder stark eingeschränkt, auch die zahnärztliche Behandlung wird erschwert.

tl_files/bzoeg/redaktion/bilder/aktuelles/2018/Abbildung 2 MIH an Frontzaehnen Quelle DGZMK.png

Die Ursachen der MIH müssen bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt als weitgehend unbekannt angesehen werden. Da die Schmelzbildung der betroffenen Zähne in den Zeitraum von der Geburt bis weit ins erste Lebensjahr fällt und die schmelzbildenden Ameloblasten sehr empfindlich gegenüber Acidose, Hypokalzämie, Hypoxie und Hypothermie sind, werden äußere Einflüsse bzw. Infektionskrankungen in der frühen Kindheit diskutiert, berichtete Prof. Krämer. Solche durch retrospektive Studien angenommene Zusammenhänge weisen nur geringe Evidenz auf. Nachweislich bei Rattenversuchen konnte ein Zusammenhang zwischen Gaben von Bisphenol A und ähnlichen Schmelzbildungsstörungen gezeigt werden.

tl_files/bzoeg/redaktion/bilder/aktuelles/2018/Abbildung 3 schwere Form MIH Quelle DGZMK.png

Ohne das Wissen um die Ursachen ist eine Prävention der MIH nicht möglich. Die Oberfläche der betroffenen Zähne ist rau und zerfurcht und damit einem erhöhten Kariesrisiko ausgesetzt. Die Kariesprävention ist bei MIH besonders zu intensivieren. Prof. Zimmer plädierte für Prophylaxemaßnahmen, wie sie die Leitlinie der DGZMK zur Kariesprophylaxe im bleibenden Gebiss vorsieht mit dem Schwerpunkt auf Fluoridierungsmaßnahmen in der häuslichen Umgebung und in der Zahnarztpraxis. Bei Kindern unter sechs Jahren empfiehlt er die tägliche Anwendung fluoridhaltiger Zahnpasta entsprechend der Empfehlungen der DGZMK sowie bis zu viermalige Fluoridlackanwendung in der Zahnarztpraxis. Ab dem Durchbruch des ersten bleibenden Zahnes sollte das Kind zweimal täglich mit Junior- bzw. Erwachsenenzahncreme putzen, die einen höheren Fluoridgehalt aufweist und zweimal täglich eine fluoridhaltige Mundspüllösung oder einmal wöchentlich ein hochkonzentriertes Fluoridgel anwenden. Optimaler Schutz ist dann gewährleistet, wenn der Zahnarzt im Abstand von drei bis sechs Monaten die Zähne untersucht und nach Bedarf mit Fluoridlack behandelt. Ziel der Prophylaxemaßnahmen ist es, die besonders anfälligen MIH-Zähne vor Karies zu schützen. Wenn die Zähne vollständig durchgebrochen sind und das Kind zu längeren Behandlungen bereit ist, kann der Zahnarzt die betroffenen Zähne je nach Ausprägung mit unterschiedlichen Techniken in verschiedenen Stufen wieder aufbauen. Leider gibt es noch keine langfristigen Verlaufskontrollen zur Versorgung der MIH-Zähne.

Die anwesende Fachpresse zeigte sich im Anschluss interessiert an praktischen Fragestellungen. Während eine professionelle Zahnreinigung aufgrund der Porosität des Schmelzes und der großen Empfindlichkeit weniger empfohlen werden kann, könnte der Einsatz von Kalziumphosphat-Spendern eine Nachreifung des Schmelzes bewirken.

Auch wenn MIH in allen sozialen Schichten auftritt, so sind doch Kinder, deren Eltern nur unzureichend die angebotenen Gesundheitsleistungen wahrnehmen, einem größeren Risiko ausgesetzt, dass MIH-Zähne Kariesdefekte bekommen und der Substanzverlust schneller vor sich geht. Häusliche Bemühungen und Zahnarztbesuche sollten gerade für diese Bevölkerungsgruppe mit der aufsuchenden Betreuung durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst ergänzt werden, meint die Autorin.

Noch immer ist das Wissen unter den zahnärztlichen aber auch ärztlichen Kollegen unzureichend, wenn es um MIH geht. Mit dieser Pressekonferenz wurde darauf und auf den großen Forschungsbedarf aufmerksam gemacht.

 

 

 

 

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