Eine Zuckersteuer ist keine Bevormundung, sondern Verantwortung

 

Diese Epidemie ist nicht die Summe individueller Fehlentscheidungen, sondern das Ergebnis einer fehlgeleiteten Ernährungsumwelt. Der Markt steuert unser Essverhalten stärker als jeder innere Kompass. Werbung, Preisgestaltung und Verfügbarkeit fördern vor allem den Konsum jener industriell hergestellten Produkte, die hohe Gewinnmargen versprechen – und hohe Gesundheitskosten verursachen. Damit wird das Prinzip der freien Entscheidung zur Illusion. Wer tagtäglich gezuckerte Produkte in jeder Werbepause, an jeder Supermarktkasse und in jeder Schulkantine präsentiert bekommt, entscheidet nicht wirklich frei. Noch dazu gilt für Süßigkeiten seit 1990 ein ermäßigter Umsatzsteuersatz von sieben Prozent, womit die entsprechenden Produkte künstlich verbilligt werden. Diese staatliche Subventionierung ist gesundheitspolitisch und ernährungsmedizinisch höchst fragwürdig.

Gleichzeitig gerät das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem an seine Grenzen. Krankheiten, die vermeidbar wären, verschlingen Milliarden an Gesundheitskosten [Watt et al., 2019]. Mehr Prävention ist auch volkswirtschaftlich ein Gebot der Stunde und darf sich daher nicht auf Appelle und Informationskampagnen beschränken. Aufklärung ist wichtig, aber sie erreicht vor allem jene, die ohnehin gesundheitsbewusst leben. Verhältnispräventive Maßnahmen wie Steuern oder Werbebeschränkungen wirken hingegen auch dort, wo individuelle Ansprache an ihre Grenzen stößt [Heilmann & Ziller, 2021].

Das Argument, eine Zuckersteuer beschneide die persönliche Freiheit, ist populär – aber falsch. Eine Steuer verbietet nichts, sie lenkt. Sie schafft Anreize, gesündere Entscheidungen zu treffen, ohne sie vorzuschreiben. Erinnert sei auch daran, dass es bis 1993 eine Zuckersteuer in Deutschland gab. Und Werbeverbote wiederum richten sich nicht gegen die Bevölkerung, sondern gegen die Industrie, die aus Abhängigkeit Kapital schlägt. Denn Zucker wirkt nachweislich gewöhnungsfördernd, wenn nicht gar abhängig machend [DiNicolantonio et al., 2018]. Wer abhängig ist, entscheidet nicht autonom.

Der Erfolg vergleichbarer Maßnahmen ist belegt: Die drastische Reduktion des Rauchens in den letzten Jahrzehnten verdanken wir nicht freiwilliger Einsicht, sondern konsequenter Regulierung – Besteuerung, Werbeverboten, Aufklärung. Kaum jemand würde heute behaupten, er vermisse die Zigarettenwerbung oder wolle wieder mehr mit Tabakrauch in Kontakt kommen. Warum also handeln wir beim Zucker so zögerlich? Während andere Länder längst Erfolge durch Lenkungsmaßnahmen verbuchen [Du et al., 2018], verharrt die Bundespolitik im Diskurs über vermeintliche Bevormundung. Dabei wäre eine Zuckersteuer ein Schritt hin zu echter Freiheit – der Freiheit von krankmachenden Strukturen, von manipulativer Werbung, von ökonomischen Zwängen, die Gesundheit zur Ware machen.

Eine Gesellschaft, die ihre Bürgerinnen und Bürger schützt, betreibt keine Verbots-, sondern Verantwortungspolitik. Die Zuckersteuer ist kein Eingriff in die Freiheit – sie ist ihr Schutzmechanismus.

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