Welchen Einfluss hat Fluorid auf den IQ von Kindern?
Studienrezension
Die seit Jahren in den USA geführte Debatte um die Zulässigkeit der dort praktizierten Trinkwasser-Fluoridierung ist mit der Suche nach wissenschaftlichen Belegen für Gesundheitsgefahren wieder aufgeflammt. In den vergangenen Jahren erschienen verschiedene Studien, die versucht haben nachzuweisen, dass sich fluoridiertes Trinkwasser nachteilig auf die kognitive Entwicklung auswirkt.
Nun wurde im Januar 2025 eine Metaanalyse in JAMA Pediatrics veröffentlicht, in der die Autoren um Kyla W. Taylor den Zusammenhang zwischen systemischer Fluorid-Exposition und dem Intelligenzquotienten (IQ) bei Kindern erneut untersuchten. Angeheizt durch die politische Debatte greifen auch Publikumsmedien die Ergebnisse auf, geben diese allerdings häufig verfälscht wieder und drohen damit, auch die über Jahrzehnte erfolgreich etablierte Kariesprophylaxe in Deutschland zu gefährden.
Die Metaanalyse von Taylor ist also die neueste und umfassendste Publikation in einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen, die sich seit dem ersten Review des National Research Council der USA im Jahr 2006 mit der Thematik befasst haben. In die Analyse wurden 64 Querschnitts- und zehn Kohortenstudien eingeschlossen. Sie stammen aus China (n=45), Indien (n=12), Iran (n=4), Mexiko (n=4), Kanada (n=3), Pakistan (n=2), Dänemark (n=1), Neuseeland (n=1), Spanien (n=1) und Taiwan (n=1).
In 19 Studien wurde die Exposition individuell durch die Bestimmung der Fluorid-Aufnahme oder der Fluorid-Ausscheidung im Urin ermittelt. In den restlichen 55 Studien erfolgte die Bestimmung auf Gruppenbasis, zum Beispiel auf Grundlage des Fluoridgehalts im Trinkwasser in einem Versorgungsgebiet. Für 52 Studien wurde nach dem „Office of Health Assessment and Translation“(OHAT)-Verfahren ein hohes systematisches Verzerrungsrisiko (Bias) festgestellt, für die verbleibenden 22 ein geringes.
Insgesamt ergaben 64 Studien eine inverse Beziehung zwischen der Fluorid-Exposition und dem IQ der Kinder. Das bedeutet: Je höher je nach Studiendesign die prä- beziehungsweise postnatale Fluorid-Exposition, desto stärker reduzierte sich der IQ. Die Analyse von 59 Studien (47 hohes Risiko für methodische Verzerrungen, 12 niedriges Risiko) mit Messungen von Fluorid im Trinkwasser auf Gruppenebene, Zahnfluorose oder anderen Indikatoren der Fluorid-Exposition, ergab eine standardisierte mittlere Differenz (SMD) von -0,45 (95 Prozent Konfidenzintervall: –0,57 bis –0,33; p < 0,001) im Vergleich zu nicht exponierten Kindern.
In den 31 Studien, in denen die Fluoridkonzentration im Trinkwasser gemessen wurde, lag die Differenz (SMD) des IQ zwischen exponierten Gruppen und nicht exponierten Referenzgruppen bei –0,15 (95 Prozent-Konfidenzintervall –0,20 bis –0,11; p < 0,001). Der Zusammenhang blieb auch erhalten, wenn die exponierten Gruppen weniger als 4 Milligramm Fluorid pro Liter Trinkwasser und auch weniger als 2 Milligramm pro Liter Trinkwasser aufnahmen.
Bei weniger als 1,5 Milligramm Fluorid pro Liter Trinkwasser war kein Zusammenhang mehr feststellbar. Wenn die Analysen allerdings auf Studien mit niedrigem Bias beschränkt wurden, blieb der Zusammenhang auch bei Konzentrationen unterhalb von 1,5 Milligramm Fluorid pro Liter Trinkwasser erhalten.
In 20 Studien wurde Fluorid im Urin gemessen. Auch hier gab es eine inverse Dosis-Wirkungs-Beziehung. Die SMD lag bei −0,15 (95 Prozent Konfidenzintervall –0,23 bis –0,07; p < 0,001). Der Zusammenhang blieb erhalten, wenn die Fluoridkonzentration im Urin unter vier Milligramm pro Liter, unter zwei Milligramm pro Liter und unter 1,5 Milligramm pro Liter lag. Die Analyse von 13 Studien mit Messungen auf individueller Ebene ergab einen Rückgang des IQ um 1,63 Punkte (95 Prozent Konfidenzintervall –2,33 bis –0,93; p < 0,001) pro ein Milligramm pro Liter Anstieg des Fluorids im Urin.
Bei Studien mit geringem Bias-Risiko sank der IQ um 1,14 Punkte (95 Prozent Konfidenzintervall –1,68 bis –0,61; p < 0,001) pro ein Milligramm pro Liter Anstieg des Fluorids im Urin. Es wird nicht berichtet, ab welchem Expositionslevel dieser Zusammenhang besteht. Der Zusammenhang blieb erhalten, wenn die Ergebnisse im Hinblick auf Bias, Geschlecht, Alter, Art der Ergebnisauswertung, Land, Expositionszeit und Expositionsmatrix geschichtet wurden.
Das Autorenteam gibt an, dass die meisten in die Analyse einbezogenen Studien Querschnittsstudien waren und methodische Mängel aufwiesen. Die Konsistenz des gefundenen Zusammenhangs sowohl in den Studien mit hohem als auch in denen mit niedrigem Bias-Risiko verringert jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass die gefundenen Zusammenhänge durch Bias oder Confounder erklärt werden können.
Dass ab einer bestimmten Grenze ein Zusammenhang zwischen prä- und möglicherweise postnataler systemischer Fluoridaufnahme und dem IQ von Kindern besteht, scheint nach dieser Metaanalyse unzweifelhaft.
Über das Alter der Kinder, deren Daten in die Analyse eingeflossen sind, wurde in der Studie keine Angabe gemacht. An einer Stelle wird erklärt, dass auch über zehnjährige Kinder in einer der Studien untersucht wurden. Die Metaanalyse umfasste sowohl Studien, in denen die pränatale Fluorid-Exposition mit dem IQ der Kinder korreliert wurde, als auch Studien, in denen die Fluorid-Exposition bereits geborener Kinder herangezogen wurde. Es kann also keine Aussage darüber getroffen werden, ob der gefundene Zusammenhang auf die pränatale systemische Fluorid-Exposition beschränkt ist, noch bis zu welchem Alter ein Nachteil erworben werden kann und ob er bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt.
Die im Zusammenhang mit der Fluorid-Exposition gefundenen geringeren IQs waren insgesamt in einem niedrigen Bereich zwischen 0,15 und 1,63 IQ-Punkten angesiedelt. Der Durchschnitt des IQ liegt bei 100. Wichtig ist die Feststellung, dass nur systemisch aufgenommenes Fluorid für den gefundenen Zusammenhang relevant ist. Fluorid aus Mundhygieneprodukten spielt hier keine relevante Rolle.
Nach Angabe der Autoren stammt die systemische Fluoridaufnahme in den USA zu 75 Prozent aus Trinkwasser und Getränken, die mit Trinkwasser hergestellt werden. In den USA erhalten 73 Prozent der Bevölkerung fluoridiertes Trinkwasser mit einer Fluoridkonzentration von 0,7 parts per million [Fluoride Action Network].
In Deutschland ist der Fluoridgehalt im Trinkwasser ausschließlich natürlichen Ursprungs und liegt fast überall unter 0,3 parts per million und damit weit unter der untersten Schwelle von 1,5 parts per million, die in der vorliegenden Metaanalyse untersucht wurde. Die systemische Fluoridzufuhr erfolgt in Deutschland im Wesentlichen über Trinkwasser, Nahrungsmittel und fluoridiertes Speisesalz.
Nach einer Zusammenstellung der Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK) liegt die maximale durchschnittliche systemische Fluoridaufnahme in Deutschland bei Kindern zwischen 0,44 (sechs bis zwölf Monate) und 1,03 Milligramm (vier bis sechs Jahre). Dabei sind die Verwendung von fluoridiertem Speisesalz (0,04 bis 0,09 Milligramm Fluorid) sowie das vollständige Verschlucken der empfohlenen Menge Fluoridzahnpasta (0,2 bis 0,5 Milligramm Fluorid) im Sinne eines „worst-case scenario“ eingerechnet.
Die tatsächliche Fluoridaufnahme dürfte also deutlich geringer sein, da auch Kleinkinder nicht die gesamte Zahnpasta verschlucken und nicht jeder fluoridiertes Speisesalz verwendet. Für Kinder im Alter von sechs bis zwölf Monaten wurde eine tägliche Getränkeaufnahme von 400 Millilitern angenommen. Wenn die niedrigste in der Metaanalyse herangezogene Schwelle von 1,5 parts per Million Fluorid im Trinkwasser zugrunde gelegt wird, läge die Fluoridaufnahme in diesem Alter allein aus Trinkwasser schon bei 0,6 Milligramm und bei den Vier- bis Sechsjährigen bei 1,41 Milligramm. Tatsächlich liegt sie in Deutschland bei 0,1 Milligramm (sechs bis zwölf Monate) beziehungsweise 0,24 Milligramm (vier bis sechs Jahre).
Ein Blick auf die Korrelation des IQ mit dem Fluoridgehalt im Urin, wo in einer Subanalyse mit einer IQ-Reduktion von 1,63 der mit Abstand höchste Wert gefunden wurde, macht den hierzulande bestehenden Sicherheitsabstand deutlich. In der Metaanalyse wurde auch für Werte unterhalb von 1,5 Milligramm Fluorid/Liter Urin eine inverse Beziehung zwischen Fluoridausscheidung und IQ gefunden, in der Analyse der Studien mit niedrigem Bias lag diese bei einem Rückgang des IQ um 1,14 Punkte pro ein Milligramm pro Liter Anstieg des Fluorids im Urin.
In Deutschland existieren keine vergleichbaren Studiendaten über die Fluorid-Ausscheidung im Urin. Eine Studie aus der Region Basel aus dem Jahr 2006 soll daher zum Vergleich dienen. Allerdings dürften die dort ermittelten Werte etwas höher als in Deutschland liegen, da die Daten zu einer Zeit erhoben wurden, als es in Basel-Stadt noch eine Trinkwasser-Fluoridierung gab.
Für die Studie wurden Erwachsene aus Basel und dem Umland untersucht, die entweder Fluoridsalz (Umland) oder Trinkwasser-Fluoridierung (TWF) (Basel-Stadt) erhalten hatten. Bei der TWF-Gruppe wurde eine Fluoridkonzentration von 0,64 Milligramm pro Liter im Urin mit einer Standardabweichung von 0,24 Milligramm pro Liter gefunden. Bei der Salz-Gruppe waren es 0,47 Milligramm pro Liter (Standardabweichung 0,24 Milligramm pro Liter) [Guindy et al., 2006]. Durch die Mobilität der Studienteilnehmer zwischen Basel-Stadt (TWF) und Umland (Fluorid-Salz) ist davon auszugehen, dass die Salzgruppe teilweise zusätzlich fluoridiertes Trinkwasser konsumierte und dadurch einer höheren Fluorid-Exposition unterlag als Menschen in Deutschland mit reiner Salzfluoridierung. Der Wert von 0,47 Milligramm Fluorid pro Liter Urin liegt jedoch deutlich unterhalb des in der Metaanalyse benutzten Grenzwertes von 1,5 Milligramm pro Liter und ebenfalls deutlich unterhalb des Wertes von ein Milligramm pro Liter, der mit einem Rückgang des IQ um 1,14 assoziiert ist.
Die neue Metaanalyse zeigt mit höherer Zuverlässigkeit als bisherige Analysen, dass ein Zusammenhang zwischen erhöhter systemischer Fluorid-Exposition und dem IQ von Kindern besteht. Diese wurde für Länder und Regionen mit einer deutlich höheren systemischen Fluoridversorgung durch Fluorid im Trinkwasser gezeigt, als dies in Deutschland der Fall ist.
Auch in Ländern mit künstlicher Trinkwasser-Fluoridierung liegt die Konzentration mit 0,7 parts per million deutlich niedriger als in den Ländern, deren Daten Eingang in die Metaanalyse gefunden haben. Es ist daher weiterhin davon auszugehen, dass in Deutschland kein Zusammenhang zwischen der systemischen Fluoridaufnahme bei Schwangeren und Kindern und dem IQ der Kinder besteht.
Fluoridiertes Speisesalz trägt in Deutschland im Durchschnitt nur zu sieben bis neun Prozent zur systemischen Fluoridaufnahme bei. Lokal eingesetztes Fluorid aus Mundhygieneprodukten spielt für die systemische Fluorid-Exposition keine relevante Rolle. Deshalb sollten Kinder und Schwangere keinesfalls aus übertriebener Vorsicht auf die wirkungsvolle Fluoridprophylaxe mit fluoridiertem Speisesalz, Zahnpasten, Mundspüllösungen und gegebenenfalls weiteren lokal wirkenden Produkten verzichten.
Hier finden Sie die Stellungnahme der DGKiZ
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