2015 - Kongress in Rostock
Der Öffentliche Gesundheitsdienst - hart am Wind
Die alte Hansestadt Rostock bot vom 23. bis 25. April 2015 mit ihren beeindruckenden historischen Zeugnissen norddeutscher Backsteingotik die Kulisse für den 65. Wissenschaftlichen Kongress der beiden Bundesverbände der Zahnärzte (BZÖG) sowie der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e.V. (BVÖGD). Passend zum diesjährigen Kongressmotto „Der Öffentliche Gesundheitsdienst – hart am Wind“ ließen sich die Zahnärztinnen und Zahnärzte der öffentlichen Gesundheitsdienste nicht durch den bundesweit ausgerufenen Bahnstreik und die dadurch bedingten verkehrsbedingten Widernisse abschrecken und erschienen zahlreich zum Kongress.
Die Eröffnung der Kongressvorträge erfolgte traditionsgemäß am Donnerstagvormittag mit dem Beitrag der Landesstelle des jeweiligen Kongressortes. Dieses Jahr stellten die beiden Vertreterinnen der Landesstelle Mecklenburg-Vorpommern, Frau Dipl.-Stom. Kathrin Falk (Gesundheitsamt Landkreis Rostock) und Frau Dr. Rona Zyriax (Gesundheitsamt Ludwigslust-Parchim) die Historie und die Struktur der gruppenprophylaktischen Aktivitäten im Land Mecklenburg-Vorpommern vor. Der Beitrag der beiden Kolleginnen setzte getreu des Vortragstitels „Mal ernst, mal heiter – Kinderzahngesundheit in Mecklenburg-Vorpommern“ den bunten Startpunkt des Kongresses, denn Sie wurden unterstützt durch das 1991 in Alt Schönau, einem kleinen Dorf in der Nähe von Waren an der Müritz gegründete Künstler-Duo „Figurentheater Ernst Heiter“. Mit seinem charmanten, mundartbezogenen Beitrag trugen die beiden Schauspieler des Figurentheaters gemeinsam mit Frau Falk und Frau Dr. Zyriax dazu bei, dass dieser lebendige Eröffnungsvortrag allen Kongressteilnehmern noch lange positiv im Gedächtnis haften bleiben wird [1]. Im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern bilden neben § 21 SGB V das dort gültige Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (§ 16 Abs. 1 ÖGDG M-V) aus dem Jahr 1991, das Schulgesetz (§ 45 Abs. 3) und die Schulgesundheitspflegeverordnung (§§ 5 und 6 SchulGesPflVO M-V). Im September 1991 wurde zur Umsetzung des § 21 SGB V die Landesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Jugendzahnpflege Mecklenburg-Vorpommern e.V. gegründet, die sich später eine Rahmenvereinbarung und ein Basisprogramm gab. Die Basisprophylaxe erfolgt flächendeckend für Kinder zwischen 3-12 Jahren durch das zahnärztliche Personal der Gesundheitsämter sowie niedergelassene Zahnärzte, während intensivprophylaktische Maßnahmen durch 15 Prophylaxe-Beraterinnen der Landesarbeitsgemeinschaft Mecklenburg-Vorpommern (LAG M-V) durchgeführt werden. Die Zahngesundheit verbesserte sich innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren von nur 19% Kindern mit einem naturgesunden Gebiss in 1994 auf mehr als 59% der Kinder und Jugendlichen im Schuljahr 2013/2014. Der DMF-T der 12-Jährigen sank im gleichen Zeitraum um ca. 82% von 3,7 auf 0,7, was dem bundesweit ermittelten Durchschnittswert der epidemiologischen Begleituntersuchung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege e.V. (DAJ) aus dem Jahr 2009 entspricht [2].
Herr Dr. Günther Pfaff ist in seiner Funktion als Leiter des Referats Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung beim Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg u.a. auch für die fachliche Betreuung der DAJ-Studie in Baden-Württemberg zuständig. Zentrale Fragestellung seines Vortrags mit dem Titel „Erste Erfahrungen zur Anwendung des ICDAS im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen“ war vor dem Hintergrund der Entwicklung, dass Kariesbefunde mit freiliegendem Dentin oder unterminiertem Schmelz immer seltener werden, ob eine Karieserfassung nach dem „International Caries Detection and Assessment System“ (ICDAS) nicht auch im Rahmen der DAJ-Studie denkbar und praktikabel sei, da dieses System die Erfassung von Kariesvorstufen ermöglicht. Um dies herauszufinden, wurde eine Pilotstudie mit 38 Zahnärzten aus 32 Gesundheitsämtern des Landes Baden-Württemberg durchgeführt. Die Pilotstudie erfolgte bei 12-Jährigen in weiterführenden Schulen, nachdem die Untersucher an extrahierten Zähnen kalibriert worden waren. Voraussetzung zur Teilnahme als Untersucher war ein Kappa-Wert von mindestens 0,7 (substanzielle Übereinstimmung). Die Trocknung während der Untersuchung wurde nicht mittels Druckluft, sondern mit Zellstoffspateln durchgeführt. Die Untersuchung nahm dabei doppelt so viel Zeit pro Kind in Anspruch als die Erfassung nach den WHO-Kriterien und betrug im Mittel 3,0 Minuten. Die Dokumentation erfolgte papiergestützt. Die verhältnismäßig lange Untersuchungsdauer steht im Einklang mit Ergebnissen von Feldstudien anderer Autoren [4; 5; 3]. Das Fazit der Pilotstudie war, dass die Karieserfassung mittels des ICDAS-Systems aufgrund seiner Sensitivität für Kariesvorstufen zwar als sinnvoll eingestuft wird, jedoch mit Rücksicht auf die verhältnismäßig lange Untersuchungsdauer nicht für den Einsatz bei zahnärztlichen Routineuntersuchungen in Kindertagesstätten und Schulen empfohlen werden kann. Kritisch wurde aus dem Auditorium angemerkt, dass entgegen aller derzeit gültigen Empfehlungen zur Durchführung kariesepidemiologischer Studien einige Untersucher bei der Kalibrierung vergrößernde Sehhilfen trugen.
In seinem Vortrag „Trends und Einflussfaktoren der Zahngesundheit von Heranwachsenden in Sachsen-Anhalt: Auswertung der Daten des ÖGD im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung“ zeigte Herr Dr. Goetz Wahl (Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt, Fachbereich Hygiene, Magdeburg) sehr eindrücklich, wie eine zielführende und für jedermann zugängliche, standardisierte Datenaufbereitung am Beispiel der Ergebnisse der landesweiten zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen in Sachsen-Anhalt erfolgen kann [6]. In Sachsen-Anhalt werden die Daten der zahnärztlichen Untersuchungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) in Kindertagesstätten und Schulen seit dem Schuljahr 2007/2008 einmal jährlich elektronisch in Form von anonymisierten Einzeldatensätzen (etwa 150.000 untersuchte Kinder pro Jahr) in einer ASCII-Datei per E-Mail an das Landesamt für Verbraucherschutz übermittelt und dort im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung (GBE) mit dem Statistikprogramm Statistical Package for the Social Sciences (SPSS®) ausgewertet. Die wichtigsten Ergebnisse werden wieder regionalisiert und in standardisierter Form zeitnah den Gesundheitsämtern zurückgespielt (gbe-service-ZD). Die auf diese Weise, u.a. für eine kommunale GBE aufbereiteten Daten, ermöglichen u.a. Assoziationen zwischen der Exposition gegenüber bestimmter Einflussfaktoren und Effekten auf die Zahngesundheit. Im vorliegenden Fall konnte anhand der epidemiologischen Daten ermittelt werden, dass Zusammenhänge zwischen Versiegelungen und einer verbesserten Zahngesundheit bestehen. Dabei ist eine Schutzwirkung der Versiegelungen unabhängig vom Geschlecht, vom Alter und vom sozialen Hintergrund messbar und sie steigt kontinuierlich mit der Anzahl der versiegelten Zähne an.
Am zweiten Kongresstag ging Herr Prof. Dr. Christian Splieth (Greifswald) einleitend in seinem Vortrag „Kariöse Initialläsionen: Fluoridierung, Versiegelung oder Infiltration?“ auf verschiedene minimal-invasive Therapieoptionen im Milch- und bleibenden Gebiss ein [7]. Er betonte, dass die Karies ein Prozess sei, der beginnt, sobald dentale Plaque zwei Tage alt ist. Dieser, als „aktive Karies“ bezeichnete Zustand, kann durch eine effektive Zahnreinigung und den Einsatz von Fluoriden in Zahnpasta und einer lokalen Applikation von Gelen und Lacken in einen „inaktiven“ Zustand überführt werden und zu einer Remineralisation und einer Arretierung der Karies führen. Auf diese Weise kann mit sehr einfachen Mitteln ohne den Einsatz invasiver Füllungstherapien eine Sklerosierung kariösen Dentins auf Glattflächen erreicht werden [8]. Inaktive kariöse Läsionen zeichnen sich makroskopisch durch eine dunkle Färbung aus und erscheinen wie „poliert“. Versiegelungen sind neben einer „queren“ Zahnputztechnik als kariespräventive Maßnahme im Bereich der Kaufläche besonders sinnvoll bei bleibenden Molaren, die zwar durchgebrochen sind, die Okklusionsebene jedoch noch nicht erreicht haben. Bei initialkariösen Läsionen im Approximalbereich, kann in bestimmten Fällen als Therapiemaßnahme eine Kariesinfiltration mit dünnfließendem Kunststoff empfohlen werden. Eine andere Methode zur Versorgung initialer Glattflächenläsionen im Schmelz ist die sogenannte „Bio-Remineralisation“, die kürzlich in einer Pilotstudie im British Dental Journal vorgestellt wurde [9]. Demnach führt der Einsatz eines P11-4 Peptids zu einer oberflächlichen de novo-Bildung von Hydroxylapatit.
Es ist allgemein bekannt, dass die Förderung der Zahngesundheit umso wirkungsvoller ist, je früher sie einsetzt. Dass diese auch während der Schwangerschaft für Mutter und Kind eine wirksame Frühfördermaßnahme darstellt, zeigte Frau Dr. Karen Meyer, Oberärztin an der Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover in ihrem Beitrag „Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung – Ergebnisse einer Langzeitstudie“ [10]. Während der Schwangerschaft stehen werdende Mütter bedingt durch hormonelle Veränderungen unter einem erhöhten Karies-, Gingivitis- und Parodontitisrisiko. Eine in der Schwangerschaft beginnende zahnärztliche Betreuung im Sinne einer Gesundheitsfrühförderung ermöglicht dabei nicht nur die Etablierung eines verbesserten Gesundheitsverhaltens und der Mundgesundheit der Mütter, sondern führt nachweislich auch zu einer Verbesserung der Mundgesundheit ihrer Kinder. Die Frühförderung umfasste u.a. regelmäßige Maßnahmen zur Kariesrisikobestimmung, Mundhygieneaufklärung und Ernährungslenkung. Anhand der Daten der Langzeituntersuchung war in der Phase des frühen Erwachsenenalters bei den Kindern der betreuten Mütter eine signifikant bessere Mundgesundheit (sowohl hinsichtlich der Hartsubstanz-, als auch der Parodontalbefunde) im Vergleich zu einer nicht betreuten Kontrollgruppe erkennbar. Der beschriebene Effekt wurde sowohl auf die bessere Mundgesundheit während der Schwangerschaft, als auch auf das bessere Gesundheitswissen und die Achtsamkeit der Mütter gegenüber der Zahngesundheit ihrer Kinder zurückgeführt.
Die sogenannte „Molaren-Inzisiven-Hypoplasie“ (MIH) wurde wissenschaftlich erstmalig 1987 von einer schwedischen Arbeitsgruppe als eigenständiges Krankheitsbild beschrieben [13]. Dass die MIH sich aufgrund ihrer Prävalenz von 5-15% in Deutschland und bis 40% weltweit zwischenzeitlich zu einer Erkrankung mit Public Health-Relevanz entwickelt hat, zeigte Frau Dr. Maria Giraki (Düsseldorf) in ihrem Vortrag „Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation: Ein Überblick“. Die Ursachen für die Entstehung dieser „systemisch bedingten, qualitativen Schmelzdefekte“ sind bislang unklar und betreffen meist die ersten bleibenden Molaren, optional auch die Ober- und Unterkiefer-Schneidezähne. Dabei können ein oder mehrere bleibende Zähne betroffen sein. Klinisch wird die MIH als gelbliche bis bräunliche scharf begrenzte Farbveränderung der Zähne beschrieben. Schwere Verlaufsformen zeigen im Molarenbereich teils stark ausgeprägte posteruptive Schmelzfrakturen schon während des Zahndurchbruchs. Sie gehen häufig mit einer Temperatur- und Berührungsempfindlichkeit der Zähne einher. Als mögliche Ursachen werden derzeit peri- und postnatale Infektionserkrankungen, Medikamenteneinnahmen sowie umwelttoxische Einflüsse diskutiert. Schmerzen beim Zähneputzen, die bei der schweren Verlaufsform auftreten können, die schwere Anästhesierbarkeit der Zähne und eine eingeschränkte Schmelzhaftung von adhäsiven Restaurationen stellen Komplikationen dar und erhöhen das Kariesrisiko der betroffenen Kinder. Daher kommt der frühzeitigen Diagnostik durch zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen in Schulen eine besonders wichtige Funktion zu, da bei einer entsprechenden Versorgung ein weiterer Substanzverlust vermieden oder zumindest minimiert werden kann. Therapeutisch kommen neben der Individualprophylaxe defektabhängig Maßnahmen wie die Fissurenversiegelung, die Kompositfüllung, eine (Teil-)Überkronung oder auch die Extraktion der betroffenen Zähne in Frage.
Herr PD Dr. Jan Kühnisch (München) stellte in seinem Vortrag „Früherkennung kariöser Läsionen in der Reihenuntersuchung – Wie geht das?“ in sehr anschaulicher Weise ergänzende Methoden zur Kariesdiagnostik vor [16]. Diese sind immer dann sinnvoll, wenn mittels einer rein visuellen Inspektion der Mundhöhle eine eindeutige Kariesdiagnostik im Okklusal- und Approximalbereich der Zähne nicht möglich ist. Aus seiner Sicht liegt daher insbesondere bei den rein visuell durchgeführten zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen durch den ÖGD eine Unterschätzung der tatsächlichen Karieslast im Bereich des Möglichen. Die in einigen Pilotstudien vorgestellte, sogenannte „DIFOTI-Technologie“ (Digitale bildgebende Fiberoptische Transillumination) (DIAGNOcam, Dental GmbH, Biberach, Deutschland) stellt eine mögliche Methode dar, die neben der visuellen Kariesdiagnostik und einer zusätzlichen radiologischen Abklärung mittels Bissflügel-Aufnahmen flankierend eingesetzt werden kann [14; 15]. Mittels dieser Methode wird der Zahn von apikal nach koronal hin durchleuchtet, wodurch die Diagnose klinisch nicht detektierbarer okklusaler und insbesondere approximaler Kariesläsionen ermöglicht wird. Aufgrund der Kosten und des Aufwands ist aus seiner Sicht nicht davon auszugehen, dass das Verfahren für zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen durch den ÖGD eingesetzt werden kann.
Das klassische Verständnis einer Kariestherapie fußt auf der vollständigen Kariesexkavation. Vor dem Hintergrund, dass eine vollständige Entfernung aller Mikroorganismen aus der Kavität nahezu unmöglich ist, befassen sich neuere Untersuchungen mit den klinischen Ergebnissen nach einer ein- bzw. zweistufigen Exkavation und dem Belassen tiefer Karies bei der Kariestherapie [21; 17; 18; 19; 23; 20]. Herr Dr. Falk Schwendicke (Berlin) zeigte in seinem Vortrag „Evidenz ist gleich Versorgung? – Das Beispiel der Kariesexkavation“, dass eine selektive Kariesentfernung auf lange Sicht eine sehr effektive und kostengünstige Methode, insbesondere im Milchgebiss darstellt [24]. Die Versiegelung kariöser Milchmolaren [29] sowie insbesondere die Versorgung mit Stahlkronen nach der sogenannten „Hall-Technik“ – ohne dass eine Kariesexkavation erfolgt – scheinen dabei Therapieoptionen zu sein, die sowohl zu guten Langzeitergebnissen ohne hohe Komplikationsraten führen sowie eine hohe Akzeptanz auf Patientenseite haben [31; 30; 27; 32; 35; 29; 26; 25].
Frau Dr. Roschan Farhumand stellte ein Präventionskonzept der DAK Hamburg vor. Sie zeigte in ihrem Vortrag mit dem Titel „Mundgesundheit für junge Familien. Saubere Zähne, gesundes Zahnfleisch – von Anfang an“, dass Eltern eine sehr wichtige Rolle bei der Gesunderhaltung der Kinderzähne zukommt [36]. Zentrale Komponente des DAK-Konzeptes ist daher die möglichst früh einsetzende aktive Einbeziehung beider Elternteile und die Vermittlung zahngesundheitsfördernder Verhaltensweisen, wie eine regelmäßige altersgerechte Mundhygiene, regelmäßige Besuche in der Zahnarztpraxis sowie eine effektive Interdentalraumpflege bereits im Milchgebiss, die auf das Kind übertragen werden sollen. Auf die kritische Anmerkung aus dem Auditorium, dass unter Berücksichtigung der Wirksamkeit früher präventiver Interventionen auch die Versiegelung von Milchzähnen als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen anerkannt werden solle, gab Frau Dr. Farhumand an, dass dies im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein Diskussionspunkt sei.
Epidemiologische Studien und Übersichtsarbeiten zeigen, dass die Mundgesundheit von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung vielfach schlechter als beim Rest der Bevölkerung ist [40; 39; 41]. Frau Dr. Angela Löw, Referentin für Prävention, Alters-und Behindertenzahnheilkunde im Vorstand der Landeszahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern (LZK M-V) stellte in ihrem Beitrag „Zahnmedizinische Betreuung von Pflegebedürftigen in Mecklenburg-Vorpommern“ ein Modellprojekt der Landeszahnärztekammer vor, das sich dieser bekannten Problematik angenommen hat [37]. Vor dem Hintergrund, dass es immer mehr ältere Menschen mit eigenen Zähnen gibt, rücken sowohl parodontale Probleme, als auch verstärkt Wurzelkaries oder Erosionen im Bereich der Zahnhartsubstanz in den Fokus präventiver zahnärztlicher Maßnahmen. Um es nicht zu diesen Problemen kommen zu lassen, liegt der Schwerpunkt des Präventionskonzepts auf einer regelmäßigen Betreuung und nicht auf einer anlassbezogenen Therapie der Betroffenen. Die Referentin betonte, dass sich diese Zielsetzung durch die derzeitigen gesundheitspolitischen Voraussetzungen und die damit verbundene fehlende Alimentierung des notwendigen präventiven Leistungsspektrums für die betroffene Personengruppe durch die gesetzliche Krankenversicherung sehr schwierig umsetzen lässt. Ein in 2009 durch die LZK M-V gestartetes Pilotprojekt zur Alterszahnheilkunde hatte das Ziel, Bewohner von sechs Einrichtungen der stationären Altenhilfe der Stadt Schwerin zahnmedizinisch zu betreuen und die Pflegekräfte mindestens einmal jährlich in Belangen der Zahnvorsorge bei alten Menschen zu schulen. Die Studie ergab, dass der Aufwand für die Organisation und Administration häufig höher ist als die Zeit, die für Behandlungsmaßnahmen aufgewendet wird und dass die therapeutischen Grenzen vor Ort häufig sehr schnell erreicht werden. Während sich die Kommunikation mit den Patienten und den Angehörigen häufig sehr schwierig gestaltete, waren das Interesse des Pflegepersonals an zahnmedizinischen Präventionsmaßnahmen sehr groß und die Kooperation sehr gut.
Der letzte Kongresstag wurde von Herrn Dr. Wolfgang Kuwatsch (Rostock) und dessen sehr praxisnahen Vortrag „Verhaltensformung und Hypnose in der Kinderbehandlung“ eröffnet [42]. Herr Dr. Kuwatsch ist deutschlandweit als Ausbilder und Supervisor für die Deutsche Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose e.V. (DGZH) tätig. In der Praxis wendet er mit großem Erfolg die Hypnotherapie nach Milton Erickson an [45; 44; 43]. Diese ermöglicht es, die Kinder vor der Behandlung mittels Suggestion vom Wachzustand in einen Zustand der Trance zu transformieren. Während des Trancezustands hat das Kind die Augen geöffnet. Seine Wahrnehmung ist fokussiert und es werden alle seine fünf Sinne angesprochen. Da Kinder naturgemäß neugierig sind, ist es wichtig, den Kontakt während der Therapie ständig aufrecht zu erhalten und jeden Behandlungsschritt mit positiv belegten Begriffen zu erklären, um eine entspannte Situation zu schaffen. Ständiges Loben bestärkt das Kind in seinem Bewusstsein, etwas zu können und befähigt zu sein und verleiht ihm dadurch ein Gefühl des Wohlempfindens, der Selbstwirksamkeit und der Sicherheit. Sehr wichtig ist eine sogenannte „ritualisierte Verhaltensführung“, die vom Empfang des Kindes im Wartezimmer bis zum Ende der Behandlung stets nach dem gleichen Muster verlaufen soll.
Die richtige Mundhygiene wird in Deutschland im Rahmen der Gruppen- und Individualprophylaxe mittels theoretischer und praktischer Mundhygieneunterweisungen an Kinder und Jugendliche vermittelt. Daher sollte davon auszugehen sein, dass das theoretische Wissen um die richtige Mundhygiene und die praktischen Zahnputzübungen zu einer entsprechenden Befähigung führen sollten. Der Vortrag „Zähneputzen – Videobeobachtungen von Mundhygieneverhalten“ von Herrn Zahnarzt Tobias Winterfeld von der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Präventive Zahnheilkunde der Justus-Liebig-Universität Gießen zeigte sehr eindrücklich, dass dies im Rahmen einer videobasierten Untersuchung an 101 jugendlichen Probanden mit unterschiedlicher Schichtzugehörigkeit nicht bestätigt werden konnte [47; 46]. Die mittlere Zahnputzdauer betrug 2,5 Minuten und es konnten bei allen Probanden Elemente der KAI- und der FONES-Technik erkannt werden, ohne dass jedoch eine Zahnputztechnik, bzw. eine Zahnputzsystematik erkennbar stringent und durchgehend verwendet wurde. Es stellte sich heraus, dass orale Zahnflächen von nur ca. 25% der Probanden geputzt wurden. Die Putzdauer war in diesen Fällen im Vergleich zur Putzdauer im Bereich der vestibulären Flächen zudem signifikant verkürzt. Die vorliegenden Ergebnisse unterscheiden sich nicht von den Studienergebnissen, die von den Autoren Ian Macgregor und Andrew Rugg-Gunn bereits im Jahr 1979 veröffentlicht wurden [48; 50; 51; 49]. Dies ist besonders vor dem Hintergrund der prophylaktischen Bemühungen auf Gruppen- und Individualebene besonders bemerkenswert.
Frau Dr. Elisabeth Schüler aus der Abteilung für Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald hatte freundlicherweise die Vertretung für die ursprünglich vorgesehene, jedoch leider kurzfristig erkrankte Referentin, Frau Dr. Ruth Santamaria Sanchez übernommen. Der durchaus provokant lautende Vortragstitel „Gibt es eine Chance für Füllungen in Milchzähnen?“ war bewusst gewählt, da aus Sicht einiger Autoren die Milchzahnbehandlung gegenüber einer Nichtbehandlung keine signifikanten Vorteile bringt [54; 52; 53]. Im Rahmen ihres Vortrags ging sie auf die Problematik der Behandlung im Milchgebiss in psychologischer und anatomischer Hinsicht unter Berücksichtigung der augenblicklich zur Verfügung stehenden Füllungsmaterialien und Versorgungsoptionen ein. Auch sie betonte, dass minimal-invasive Therapieansätze mittels Milchzahnkronen nach der Hall-Technik im Seitenzahnbereich und Frasaco-Stripkronen im Frontzahnbereich mit Belassen der kariösen Läsionen gute Behandlungsoptionen seien. Auch eine Kariesinaktivierung nach minimal-invasiver approximaler Öffnung des kariösen Defekts ohne Füllungslegung, jedoch mit Verbesserung der Putzhäufigkeit, der Putztechnik (Querputzen) sowie der lokalen Applikation von Fluoridlacken kann weiterhelfen. Wichtig ist – sollte eine Füllungsversorgung erfolgen – die Materialauswahl. Neben der Stahlkrone eignen sich Glasionomerzemente mit einem Komposit-Anteil gut für eine Füllungstherapie.
Im letzten Kongressbeitrag stellte Herr Dr. Andreas Zenthöfer (Heidelberg) die Ergebnisse einer Studie der Universität Heidelberg zur „Verbesserung der Mundgesundheit von demenziell erkrankten Senioren im Pflegeheim“ vor [55]. Ziel dieser Studie war es, bei 262 Senioren aus 14 repräsentativen Pflegeheimen (acht Interventionsheime/sechs Kontrollheime) ein Interventionskonzept zur Verbesserung der Mundgesundheit und Prothesenhygiene von pflegebedürftigen und demenziell erkrankten Senioren in Pflegeheimen auf seine Wirksamkeit zu überprüfen. Als unabhängige Variablen wurden der Plaque Control Record (PCR), der Gingival Bleeding Index (GBI), der Periodontal Screening Index (PSI) und der Denture Hygiene Index (DHI) zu Beginn der Untersuchung und nach Ablauf eines halben Jahres erhoben. Soziodemographische Variablen wurden ebenfalls in die Untersuchung einbezogen. In den Testeinrichtungen wurden den Mitarbeitern Schulungen angeboten und Ultraschallbäder zur Prothesenreinigung zur Verfügung gestellt. Während nach Ablauf der Beobachtungsperiode bei den Variablen GBI und PSI der Interventionsheime keine Veränderung festgestellt werden konnte, fand eine signifikante Verbesserung beim PCR und DHI statt. Im Vergleich zur Kontrollgruppe profitierten alle Pflegebedürftige gleichermaßen von der Intervention, unabhängig davon, ob eine demenzielle Erkrankung vorlag oder nicht. Fazit des Vortrags war, dass Schulungen von Pflegemitarbeitern die Mundgesundheit von pflegebedürftigen und dementen Senioren über einen klinisch relevanten Zeitraum verbessern können und dass Ultraschallbäder zur Prothesenreinigung eine sehr sinnvolle Maßnahme zur Verbesserung der Prothesenhygiene von Senioren im Pflegeheim darstellen.
Das Fazit dieses einmal wieder sehr gelungenen Kongresses ist schnell gezogen. Die für einige Teilnehmer strapaziöse Anreise nach Rostock wurde auch in diesem Jahr durch das vom wissenschaftlichen Referenten des BZÖG, Herrn Dr. Uwe Niekusch ausgezeichnet zusammengestellte zahnärztliche Kongressprogramm mehr als belohnt.
Verfasser des Berichts
Dr. P. Petrakakis
petrakakis@bzoeg.de
Weiterführende Literatur
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Im Rahmen des ÖGD-Kongresses in Rostock fand am 24.04.2015 die diesjährige Mitglieder- und Delegiertenversammlung statt. Das Protokoll können BZÖG-Mitglieder im internen Bereich lesen.
Mal ernst, mal heiter - Kinderzahngesundheit in Mecklenburg-Vorpommern | Frau Dr. Zyriax/Frau Dipl. Stom. Falk |
Erste Erfahrungen zur Anwendung des ICDAS im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen | Herr Dr. Pfaff |
Trends und Einflussfaktoren der Zahngesundheit von Heranwachsenden in Sachsen-Anhalt: Auswertung der Daten des ÖGD im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung | Herr Dr. Wahl |
Kariöse Initialläsionen: Fluoridierung, Versiegelung oder Infiltration? | Herr Prof. Splieth |
Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung - Ergebnisse einer Langzeitstudie | Frau Dr. Meyer |
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation: ein Überblick | Frau Dr. Giraki |
Früherkennung kariöser Läsionen in der Reihenuntersuchung - Wie geht das? | Herr PD Kühnisch |
Evidenz ist gleich Versorgung? - Das Beispiel der Kariesexkavation | Herr Dr. Schwendicke |
Mundgesundheit für junge Familien. Saubere Zähne, gesundes Zahnfleisch - von Anfang an. | Frau Dr. Farhumand |
Zahnmedizinische Betreuung von Pflegebedürftigen in Mecklenburg-Vorpommern | Frau Dr. Löw |
Verhaltensformung und Hypnose in der Kinderbehandlung | Herr Dr. Kuwatsch |
Zähneputzen - Videobeobachtungen von Mundhygieneverhalten | Herr ZA Winterfeld |
Gibt es eine Chance für Füllungen in Milchzähnen? | Frau ZÄ Schüler |
Verbesserung der Mundgesundheit von demenziell erkrankten Senioren | Herr Dr. Zenthöfer |