2017 - Kongress in München
Motto: "Gesundheit für Alle"
Der 67. Wissenschaftliche ÖGD-Kongress, der vom 3. bis 5. Mai in München stattfand, war in vieler Hinsicht etwas Besonderes. Gemeinsam organisiert vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), dem Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), dem Bundesverband der Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BZÖG), der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Prävention (GHUP) sowie dem Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt Bayern (RGU) tagte er in verschiedenen öffentlichen und Verwaltungsgebäuden. Die ersten Veranstaltungen begannen bereits am Dienstag mit PreConferenz-Workshops zu Themen wie Krankenhaushygiene, Umweltmedizin und der Vorstellung des Projektes „Öffentlicher Gesundheitsdienst 1933 – 1945“. Obwohl die Vortragsräume in der Münchner Altstadt nah beieinander lagen, begegneten sich die Besucher der verschiedenen Fachbereiche meist nur im zentralen Anlaufpunkt, dem LGL. Hier in der Pfarrstraße 1 - 3 konnte man auch die Industrie-Ausstellung und die fachliche Posterausstellung besuchen. Tagungsort für uns Zahnärzte war das spanische Kultur- und Sprachinstitut Institutio Cervantes.
Dass der Kongress in München von mehreren Partnern gestaltet wurde, zeigte sich schon zur Eröffnungsveranstaltung im Herkulessaal der Residenz. Im Rahmen einer von Fernsehjournalist Dietmar Gaiser moderierten Runde stellten sich die Vorsitzenden der Verbände der Frage „Gesundheit für alle - welchen Beitrag leistet wer?“ Schäfer hob in seinem Abschlussstatement hervor, welche großen Vorzüge in der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe darin bestehen, dass alle Akteure gemeinsam und einheitlich sowie wettbewerbs- und werbeneutral vorgehen und ihren Fokus ausschließlich auf die Mundgesundheit der Kinder und Jugendlichen richten. Der Beweis, dass dies andere Modelle genauso gut oder besser können, steht nämlich noch aus!
Das Motto des Kongresses „Gesundheit für alle“ war Anlass, im zahnärztlichen Teil die Förderung der Mundgesundheit bei Menschen, die nur eingeschränkt selbst dafür sorgen können, besonders in den Fokus zu stellen. Schmidt stellte die Auswertung der zahnärztlichen Untersuchungsergebnisse bei 6- bis 17-jährigen Förderschülern des Rhein-Erft-Kreises vor. Diese profitierten in einem 5-Jahresvergleich nicht vom allgemeinen Trend des Kariesrückgangs. Der Referent formulierte Empfehlungen für entsprechende Prophylaxe-Programme. Olmos berichtete über die Erfolge des Berliner Projektes „Mundgesundheitsförderung für erwachsene Bewohner von Behinderteneinrichtungen“. Praktische und theoretische Schulungen der Bewohner unter Einbeziehung der Betreuer und Angehörigen führten dazu, dass fünf Jahre nach der ersten Evaluation häufiger Fluoride angewendet und länger die Zähne geputzt werden. Special Olympics, die Sportwettkämpfe von Menschen mit geistiger Behinderung, begleitet die Athleten bei ihren Wettkämpfen stets mit einem Gesundheitsprogramm. Neben Themen wie gesunde Lebensweise, Sehen und Hören ist das Programm „Special Smiles – gesund im Mund“ ein fester Bestandteil. Die dabei erhobenen Zahnbefunde wurden über mehrere Jahre ausgewertet. Bissar zeigte, dass es auch in dieser Bevölkerungsgruppe zu leichten Verbesserungen der Mundgesundheit gekommen ist, auch wenn sie immer noch von der Normalbevölkerung abweicht. Nicht nur Menschen mit Behinderung, auch Menschen, die der deutschen Schriftsprache weniger mächtig sind, sind die Adressaten des bildsprachlichen Flyers, der in Hamburg zum Einsatz kommt. Wempe stellte die Evaluation des Faltblattes zur Poster-Präsentation vor. Bei der Prämierung der besten Poster auf dem Kongress erreichte sie den zweiten Platz.
Dass pflegebedürftige, betagte und hochbetagte Menschen ohne Unterstützung bei der Zahn- und Mundpflege zu 100 % eine Parodontitis mit Gefahr für weitere allgemeine Erkrankungen entwickeln können, war unter anderem ein Grund, Mundgesundheitsförderung für diese Bevölkerungsgruppe in den Fokus zu nehmen. Haffner beantwortete die Titelfrage seines Vortrags, ob zahnärztliche Prävention in der Pflege Sinn macht, mit einem eindeutigen Ja. Bomkamp schult seit 2012 Pflegekräfte im Hochsauerlandkreis und bezieht auch Pflegeschüler mit ein. Ihr Engagement wurde belohnt, denn die anfängliche Skepsis der Geschulten erwies sich als unbegründet. Für die Mundpflege bei den Bewohnern der stationären Pflege fühlten sie sich nun viel besser vorbereitet. Seit April 2014 können Vertragszahnärzte über Kooperationsverträge mit Pflegeheimen deren Bewohner systematisch betreuen. Dies ist jedoch erst zögerlich angelaufen, wie Strippel berichtete. Ob die von ihm geforderte gesamtdeutsche Institution für eine Mundgesundheitsförderung erfolgversprechender wäre, wurde anschließend im Gremium diskutiert. Schließlich sollte der ÖGD als kommunaler und koordinierender Partner in die Betrachtung einbezogen werden (Konzept des BZÖG).
Nicht immer stand die „Gesundheit für alle“ im Vordergrund der Arbeit der Gesundheitsämter in Deutschland. Im Rahmen eines Forschungsprojektes befasst sich der BVÖGD seit einigen Jahren mit der Rolle der Ärzte der Gesundheitsämter in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Ergebnisse wurden in einem Forum präsentiert. Das „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ von 1934 verband die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entstandene staatliche Medizinal- und Gesundheitsaufsicht mit der kommunalen Gesundheitsfürsorge. Die Entwicklungen der Gesundheitsfürsorge der Weimarer Zeit wurden aufgenommen, aber zugleich auch in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie vom „gesunden Volkskörper“ gestellt. Den Gesundheitsämtern kam eine zentrale Rolle bei der „Erb- und Rassenpflege“ zu, die schon 1933 im „Gesetz über die Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verankert wurde. Im zahnärztlichen Vortragsteil trug Kirchhoff eindrucksvoll seine Erkenntnisse über die Struktur der Schulzahnpflege zu dieser Zeit vor. Die mehr als 500 Schulzahnärzte in den Schulzahnkliniken unterstanden den staatlichen Gesundheitsämtern; die von ihnen erhobenen Befunde zu Kieferdeformitäten und Zahnfehlstellungen fanden als erblich determinierte Eigenschaften Eingang in die reichseinheitliche „Erbkartei“. Auch wenn der Vortragende noch keine Aussage dazu treffen konnte, inwieweit Schulzahnärzte an der Benennung von Euthanasieopfern in den Förderschulen beteiligt waren, fand das Auditorium diese Thematik so wissenswert, dass eine Fortsetzung des Vortrags auf einem der nächsten Kongresse gewünscht wurde.
Gern gesehen werden Vorträge aus der direkten Kollegenschaft. Becker stellte die Ergebnisse einer schulzahnärztlichen Untersuchung Bremer Erstklässler vor (siehe auch Meldung vom 02.01.2017). Er konnte auch für Bremen den Zusammenhang zwischen Sozialstatus und Karieserfahrung aufstellen und forderte eine entsprechende Fokussierung der Gruppenprophylaxe sowie eine Stabilisierung der Untersuchungsraten in seinem Bundesland. U. a. anhand der Bremer Untersuchungsdaten konnte Herzog die Möglichkeiten der Auswertung bivariater Zusammenhangsmaße darstellen.
Saekel untersuchte die Mundgesundheit unter den Bedingungen unterschiedlicher Gesundheitssysteme. Unabhängig von Finanzierungsstruktur und Selbstbeteiligungsrate konnten gute Ergebnisse in den meisten der betrachteten hochentwickelten Länder beobachtet werden.
Nach den wissenschaftlichen Vorträgen fand am Donnerstag, dem 4. Mai 2017, die Delegiertenversammlung statt. Mitglieder können im internen Teil das Protokoll der Versammlung nachlesen.